
Es sind einige Entwürfe – wie der hier zur Meditation ausgestellte – bestimmt für den Rahmen eines Bildes in einer Marien-Kapelle. Lucia Lienhard-Giesinger, gebürtige Altacherin, ursprünglich Malerin, heute Herz der Bosna-Quilt-Textilkunst-Werkstatt in Bregenz und Goražde, hat sie um 1994 gemalt.
Liebe
Die ersten Skizzen im sich nach oben verjüngenden Hochformat zeigten Mutter und Kind vereint, Inbegriff der Liebe, der Hingabe („Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen“) und des grenzenlosen Vertrauens („Wenn ihr nicht werdet wie Kinder, könnt ihr nicht zum Paradies gelangen“). Einzig dunkle Stellen im Kleid sind wie Fragezeichen im gewohnten Bild der Frau.
Auf den Schultern von Riesen
Von der klassischen Ansicht tastete sich Lucia in vielen Gesprächen und Versuchen vor zu einer Darstellung der Mutter, die das Kind huckepack nimmt. Die Anregung dazu kommt von Bildern in alten Domen, z.B. in Chartres. Wie Kinder sieht man da die Evangelisten auf den Schultern der Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel sitzen: Ohne Verdienst sehen die Schüler Jesu weiter als die großen Seher. (Dass das Christentum auf den Schultern jüdischer Erfahrung mit Gott ruht, wusste niemand besser als Jesus selbst.) Das Leben ruht auf den Schultern der Frau.
Die Madonna geht
Außerdem begann die Künstlerin Mutter und Kind gehend darzustellen - ähnlich wie auf ägyptischen Reliefs, unterwegs, nicht in Vorder-, sondern in Seitenansicht. Ist nicht jedes Bild Ergebnis von Bewegung und zugleich Anleitung, sie nachzuvollziehen? Und sind wir Menschen mit Gliedern und Sinnen nicht Wesen, zum Gehen bestimmt? (Kaum eine Aufforderung steht so oft in der Bibel wie die, aufzubrechen, weiterzugehen. Jesus war immer auf dem Weg.) Dieses Gehen wird dunkel und leuchtend unterstrichen durch die Betonung von Ober- und Unterschenkel.
Von wo nach wo?
Wie auf dem Tuch, das zu Weihnachten in der Altacher Kirche hängt, kommen auch im Bild der Mutter Jesu, der „neuen Eva“ zwei alte Symbole vor: Links die Schlange, zu Boden kriechend (das Kind dagegen schaut in die Höhe, übt, um sich aufzurichten!*), die Versuchung in uns, die vergessen lässt, wer wir sind. Wir haben uns ja „nicht selbst gemacht“ (Psalm 100 nach der oft vertonten Übersetzung), wir sind Gottes Kinder. Kosmos, Leben, Natur, unsere Umgebung und Verfassung, die Menschengemeinschaft, auch Sprache, Geschlechtlichkeit, Denken, Forschen und Erkennen haben nicht wir „gemacht“. Angesichts der Freiheit, der Eigenverantwortung, der technischen Möglichkeiten verliert man das leicht aus dem Blick. – Irrtum mit schlimmen Folgen, die wir Menschen aus eigener Schuld heute zu spüren bekommen wie vielleicht noch nie.
Das Symbol rechts ist der Baumstamm; das Kreuz. Der Malerin liegt gewiss nichts ferner als Verherrlichung von Leid und Schmerz. Jesus hat sich dazu berufen gewusst, Leid zu beenden; jede(r), der (dem) er etwas bedeutet, muss es ebenso halten. So ist es höchste Zeit, dass Frauen aufhören, das Elend und Trauma von Vergewaltigung an Leib und Seele zu „ertragen“, ja sich dafür noch zu schämen. Dass solche Perversion der Geschlechtskraft aufhört – wo immer, auch in der Familie, in der Kirche - ist ein Verdienst der Frauenbewegung. Aber es gibt das Kreuz, Krieg und Krankheit, Schweres und Schwerstes, das wir nicht ändern können; auch Jesus konnte es nicht. (Wobei einem das Kreuz des anderen meist leichter scheint als das eigene.) Dann geht es um etwas Anderes als um die Frage nach dem Warum: Darum, nicht zu flüchten, auch nicht in die Depression. Mit Maria auf dem Weg zu bleiben, falsche Sicherheit hinter sich zu lassen, in Liebe und Verantwortung zu tragen, was das Leben bringt.
Willibald Feinig
*siehe Beilage
aus: Orientierung am Kind von Heinrich Spaemann (1903 – 2001, Überlingen)
Kinder strahlen. … Weil sie aufschauen. Oben ist es hell und weit. Hell und weit, so ist auch das Kindergesicht. Was einer mit dem Herzen sucht und sieht, das schreibt sich in sein Angesicht.
Was wir im Auge haben, das prägt uns, dahinein werden wir verwandelt. Und wir kommen, wohin wir schauen.
Das Kind ist ganz Auge.
In der heutigen Welt tritt das Fotoobjektiv geradezu an die Stelle des eigenen Sehens. Das Schauen ist kein Anliegen mehr, sondern das Haben, das Habhaftwerden des Gesehenen, das Darüber-verfügen-können zu irgendeinem Zweck, einem Renommierzweck, einem Unterhaltungszweck, einem Propagandazweck, einem Wissenszweck, einem wirtschaftlichen Nutzen, einem Machtzweck, einem Geldzweck ...
Den Hintergrund, den Sinn, das Ganze nimmt nur der Absichtslose wahr.
Können wir noch so schauen? Erkennen wir auch darin Nachfolge Jesu? …
Es gibt einen Zeitgewinn, der Ewigkeitsverlust ist. Und es gibt einen Zeitverlust, der Ewigkeitsgewinn ist.
Wer aufhört, ein Kind zu sein, sieht nur mehr Aufgaben, die er hat.
Man erkennt nur wirklich, was man auch tut.
Nicht konkret lieben, bloß mit dem Kopf oder mit der guten Meinung lieben, nicht herzlich, überströmend, freudig aufblickend, menschlich lieben, bedeutet wenig lieben.
Das Kind liebt Besuch. Es besucht gern und will besucht sein. Es überrascht gern und will überrascht sein. Es versteckt sich, um gefunden zu werden. Es geht auf Suche, um zu finden.
Ein erlöster Mensch ist ein spielendes Geschöpf im Strahlenkreis des Geliebtseins.
Das Kind schaut auf.
Zum Briefträger sieht es nicht weniger auf als zum Bischof. In seinen Augen steht der Mensch höher als der Stand.
Das Kind wächst, es wird ein Erwachsener, nur eines wächst bei ihm nicht mit, das Auge. ...
Wie sehr sich auch die Gestalt unseres Lebens verändert, Gott will, dass wir das Auge des Kindes behalten, dass wir aufschauen, nicht herab.
Beilage zu „Das Kind sieht weiter“ - Meditationsbild von Lucia Lienhard-Giesinger im Pfarrzentrum Altach, Werktagskapelle (weitere im Kleinen Saal, 2. Stock), während des Sommers 2025.